Allgemeine Informationen

Neuroendokrine Tumore

Neuroendokrine Neoplasien sind Tumore, die aus den Zellen des disseminierten neuroendokrinen Systems entstehen. Am häufigsten treten sie im Gastrointestinaltrakt einschließlich der Bauchspeicheldrüse (gastroenteropankreatisch) und in der Lunge auf.

Neuroendokrine Zellen produzieren und speichern Neuropeptide und Hormone, die bei übermäßiger Ausschüttung in das Blut zu charakteristischen Hormonsyndromen führen können. Ein Beispiel ist das Karzinoid-Syndrom, welches auf einer übermäßigen Ausschüttung von Serotonin und anderen gefäßaktiven Substanzen durch die Tumorzellen beruht und mit den Leitsymptomen Diarrhoe und anfallsartigen Gesichtsrötungen (Flushs) einhergeht. Liegt ein Hormonsyndrom vor, spricht der Kliniker von einem funktionell aktiven Tumor. Die Mehrzahl der Fälle ist allerdings nicht durch ein Hormonsyndrom gekennzeichnet, sondern wird als Zufallsbefund oder aufgrund einer Schmerzsymptomatik oder anderen Zeichen des Tumorwachstums diagnostiziert. Diese Fälle werden als hormoninaktiv oder funktionell nicht aktiv bezeichnet.

Die Neuroendokrinen Neoplasien (NEN) werden in die gut-differenzierten – meist mit langsamem Wachstum und guter Prognose assoziierten – Neuroendokrinen Tumore (NET) und die schlecht- oder entdifferenzierten Neuroendokrinen Karzinome  (NEC) unterteilt (s.a. „Klassifikation“).

Die neuroendokrinen Neoplasien zählen zu den seltenen Tumoren.

Epidemiologie

Die neuroendokrinen Neoplasien zählen zu den seltenen Tumoren. Doch zeigt sich in mehreren Studien ein enormer Anstieg der Inzidenz (Anzahl der Neuerkrankungen) in den letzten Jahrzehnten. Im amerikanischen „Surveillance, Epidemiology, and End Results (SEER)“ Register hat   sich die altersadjustierte NET- Inzidenz von 1,09/100000 1973 auf 5,25/100000 2004 fast verfünffacht – mit weiter ansteigendem Trend, wohingegen die Inzidenz aller Malignome nur unwesentlich zugenommen hat.

Die geschätzte Prävalenz (Anzahl aller Erkrankungen) lag in den USA 2004 bei 35/100000 und damit höher als für viele gastrointestinale Malignome mit Ausnahme des colorektalen Karzinomes.
Aktuelle Daten für Deutschland sind nicht verfügbar.
In einer kürzlich in Österreich durchgeführten prospektiven Studie wurde eine Inzidenz der gastroenteropankreatischen Tumore von 2,51/100000 für Männer bzw. 2,36/100000 für Frauen berichtet.

Ob die Inzidenzzunahme alleine auf eine bessere Wahrnehmung dieser Tumore, vermehrte Endoskopien und Schnittbildgebungen sowie regelmäßige Anwendung der Immunhistologie zurückzuführen ist oder darüber hinaus die Zahl der Tumoren tatsächlich steigt, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden.

Neuroendokrine Neoplasien können in jedem Alter auftreten, wobei das mittlere Diagnosealter des Gesamtkollektivs in den meisten epidemiologischen Studien um die 60 Jahre liegt.

Patienten, die neuroendokrine Tumore im Rahmen des genetisch bedingten MEN-1-Syndromes (Multiple Endokrine Neoplasie) entwickeln, aber auch Patienten mit Neuroendokrinen Tumoren der Appendix, sind bei Erstdiagnose durchschnittlich deutlich jünger.

A. Rinke (Marburg), 2015